„Willingen, das ist ein bisschen Heimatgefühl”
Dr. Christof Rühl fehlt bei keinem Springen am Mühlenkopf
Von Natalie Volkenrath
WILLINGEN. Als sich der Mann mit dem schwarzen Arztkoffer im Gepäck am Freitag auf den Weg zum Auslauf der Mühlenkopfschanze macht, sind die Augen der Weltcup-Besucher auf ihn gerichtet. Dr. Christof Rühl, Mannschaftsarzt der deutschen Skispringer, ist für eingefleischte Skisprungfans kein Unbekannter. Der Mediziner genießt die Atmosphäre. „Willingen, das ist ein bisschen Heimatgefühl“, betont Rühl, den mit dem Upland weitaus mehr verbindet als sein Beruf.
Ob als Schüler des Ski-Internats, Vorspringer oder Mitglied des Tretkommandos – der leidenschaftliche Wintersportler, der selbst noch gern ab und zu über den Bakken geht, ist seit über 20 Jahren bei allen Skisprung-Veranstaltungen im Strycktal mit von der Partie. „Ich glaube, es ist mir noch nie passiert, als Zuschauer hier zu sein“, lächelt der gebürtige Wetzlarer, der inzwischen in Köln zu Hause ist.
Wie ein Mittelhesse zum Skispringen kommt – für Rühl ganz einfach: „Wenn wir im Winterurlaub waren, fand ich es immer schon am Schönsten, über Buckel zu springen“, denkt er an seine sportlichen Wurzeln zurück. „Mein Vater war dann so lieb, mich zu unterstützen und hat mich zum Training an die Mattenschanze nach Hartenrod bei Marburg gefahren.“
Der 12-Jährige macht sich gut. Der Titel des hessischen Schülermeisters ist ihm aber nicht genug, sodass er 1986 auf das einzige Ski-Internat des Landes in Willingen wechselt. Fortan drückt Rühl gemeinsam mit der späteren Biathlonweltmeisterin Petra Behle die Schulbank. „Ich habe sofort Anschluss gefunden“, berichtet der 38-Jährige und freut sich, als ihm einer der unzähligen Weltcup-Helfer freundschaftlich auf die Schulter klopft.
1989 legt Christof Rühl an der Uplandschule sein Abitur ab, studiert von 1990 bis 1997 Medizin in Regensburg und München. An Krankenhäusern in Bayern, Niedersachsen, Berlin und Sachsen wird er zum Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie – die Beweglichkeit von Gelenken steht im Mittelpunkt – und Sportmedizin ausgebildet. Gemeinsam mit einem Kollegen eröffnet er 2006 in Bergisch-Gladbach eine eigene Praxis.
Im gleichen Jahr wird Rühl Betreuer der deutschen Springer. „Ich habe einfach bei Mannschaftsarzt Dr. Ernst Jakob angerufen und ihn gefragt, ob es aufgrund meiner Spezialisierungen sinnvoll wäre, dass ich das Team unterstütze. Seitdem arbeiten wir zusammen“, erläutert der Mediziner, der während Wettkampf und Regeneration, aber auch das ganze Jahr über für die Aktiven zur Stelle ist. So begleitet der Kölner die Mannschaft in dieser Wintersaison bei den Wettkampfhöhepunkten, zum Beispiel bei der Vierschanzentournee, der bevorstehenden Skiflug-Weltmeisterschaft in Oberstdorf und eben beim Weltcup in Willingen. „Für mich ist das ein angenehmes Maß, weil ich nicht an jedem Wochenende unterwegs bin“, ist Rühl zufrieden. „Schade ist nur, wenn ich daheim vor dem Fernseher sitze und das Gefühl habe, jetzt könnte ich die Athleten unterstützen.“
Trotz aller beruflichen Herausforderungen – die Leidenschaft fürs Skispringen treibt Rühl bis heute nicht nur an, sondern auch auf die Schanzen. „Meinen letzten Sprung habe ich vergangene Woche in Meinerzhagen gemacht“, beschreibt er seine „Skisprungsucht“ mit Begeisterung: „Wenn ein Sprung gut funktioniert, spüre ich im Flug ein ganz positives Gefühl, das zwei Wochen lang anhält. Noch Besser ist aber, dass es beim Skispringen zu keiner Abhängigkeit kommt, denn bei einem schlechten Sprung fühle ich mich eine Woche lang mies.“
An zwei seiner guten Tage erinnert sich Rühl dabei besonders gern: 2004 sichert er sich in Reit im Winkl den Senioren-Weltmeister-Titel. „Sportlich gesehen ist ein Wettbewerb auf einer 18-Meter-Schanze wohl eher peinlich, aber es ist ein riesiger Spaß, so einen Titel zu haben“. Einen weiteren sportlichen Erfolg verbucht der Athlet des WSV Rastbüchl – für den bayerischen Verein geht auch Michael Uhrmann an den Start – 2007 beim „Orenberg-Cup“ in seiner alten Heimat Willingen. „Dort bin ich Zweitletzter geworden. Das war super, denn in den letzten zehn Jahren bin ich immer nur Letzter geworden“, lächelt der Mann, dessen lockere Sprüche im Upland bestens bekannt sind.
Und so ist Christof Rühl beim Skispringen im Strycktal auch immer gern gesehen – ob als Mitglied des Tretkommandos unter Regie seines Freundes Jörn Kesper, als Vorspringer oder wie an diesem Wochenende als DSV-Arzt. „Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich hier Vorspringer war, aber vor fünf Jahren bin ich das letzte Mal mit einer Helmkamera über den Bakken gegangen“, lässt Rühl den Blick über den Hang der Mühlenkopfschanze schweifen – verbunden mit der Hoffnung, selbst noch einmal über die größte Großschanze der Welt gehen zu können.
Bis er seinen Arztkoffer gegen die Sprungski eintauschen kann, gibt es allerdings noch einiges zu tun: Schließlich schwören die Athleten bei Vor- und Nachbereitung auf seine Kenntnisse in Akupunktur und Osteopathie: „Ihnen stehen damit zwei völlig medikamentenfreie Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die sie gern nutzen“, erklärt der Experte und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Die Nadeln mögen die meisten allerdings nicht besonders.“ Nur gut also, dass kleine Sticheleien bei den deutschen Adlern auf Gegenseitigkeit beruhen: „Ich denke, die Aktiven schmunzeln über mich, wenn ich die Ski unterschnalle.”
(Waldeckische Landeszeitung vom 18. Februar 2008)