Die Uplandschule Willingen im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg ist „Eliteschule des Nordischen Skisports“. Doch an der Kooperativen Gesamtschule mit Grundschule geht es um viel mehr als den Sport.

Als hätte es Barbara Pavlu geahnt. Bei der ersten Verabredung zum Gespräch schmunzelte die Leiterin der Uplandschule im zu diesem Zeitpunkt grünen Willingen noch: „Vielleicht treffen wir uns im März. Dann haben wir vielleicht Schnee.“ Würde ja passen. Schließlich ist die Uplandschule seit 2007 eine „Eliteschule des Nordischen Skisports“. Und als habe „da oben“ jemand auf die ehemalige Leistungssportlerin gehört, verzaubert Neuschnee in ungeahnter Höhe den Wintersportort im Hochsauerland, als wir dort eintreffen.

640 Schülerinnen und Schüler besuchen die Kooperative Gesamtschule mit Grundschule und gymnasialer Oberstufe. Knapp zehn Prozent haben sich dem Skisport, präzise dem Nordischen Skisport und dem Biathlon verschrieben. Sie gehören zu jenen, die im internationalen Wettkampfsystem aktiv sind. Zwölf von ihnen wohnen im hauseigenen Internat, das sich genau wie die Kita in unmittelbarer Nähe des Schulcampus befindet.

Lehrertrainer Michael Schulenberg zeichnet dafür verantwortlich, dass sie hier Sport und Schule unter einen Hut bringen können. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, wenn es unter anderem darum geht, je nach Klassenstufe den Förder- oder sogenannten Nachführunterricht zu organisieren und Klausuren mit den mit langen Reisezeiten verbundenen Wettkampf- und Lehrgangsplänen zu koordinieren. Lehrertrainerinnen und Lehrertrainer, deren Hauptaufgabe die Nachwuchsgewinnung ist, verfügen über beides: ein abgeschlossenes Lehramtsstudium und eine Trainerlizenz.

Nach Kräften unterstützen

Die sportlichen Hoffnungsträger Deutschlands befinden sich insbesondere in den Wintermonaten viel auf Wettkämpfen. Sie verpassen Unterricht. Die Inhalte gilt es aufzuholen, online oder in Präsenz bei den Lehrkräften dieser Schule. Zu dem Kreis der Talente zählt unter anderem die 19jährige Skispringerin und angehende Abiturientin Michelle Göbel. Sie feierte erst kürzlich ihren ersten Weltcup-Einsatz, ist in diesem Jahr Gewinnerin des Continental Cups im Frauenskispringen, durfte sich auch schon über eine Bronzemedaille bei der Junioren-Weltmeisterschaft 2023 freuen und ist zudem „Eliteschülerin des Jahres 2020“.

Der ebenfalls 19jährige Biathlet Linus Kesper trägt diese Auszeichnung aktuell und die Biathletin Marie Keudel, die die Klasse 9 im gymnasialen Zweig besucht, ist beste Nachwuchsbiathletin, was sie durch den Gewinn der Gesamtwertung des Deutschlandpokals dokumentiert. Schulenberg weiß um die Belastung der Schülerinnen und Schüler. Er ist überzeugt: „Wir tun alles, um sie auf ihrem Weg zu begleiten, sie nach Kräften zu unterstützen.“ Ihr Weg in den Sport beginnt mitunter bereits in der Kita. Michael Schulenberg und sein Team sind dabei und bringen interessierte Kinder „früh auf die Skier“.

Lehrkräfte als Vorbilder

Um Verständnis muss er dafür im Kollegium nicht ringen. Die meisten Lehrkräfte stammen aus der Region und sind sozusagen mit Skiern auf die Welt gekommen. Sie sind wie ihre heutigen Schülerinnen und Schüler bereits in der Grundschule Ski gelaufen und haben selbst ab Jahrgang 7 einen alpinen Skikurs absolviert. Zwei von ihnen sind Jörg Gerstengarbe und Monica Gerstengarbe-Lazarut. Der ehemalige Deutsche Hochschulmeister im Langlauf und die frühere Olympiateilnehmerin unterrichten jetzt Sport an der Uplandschule.

Gerade erst ist Gerstengarbe vom traditionsbehafteten Wasa-Lauf zurückgekehrt und freute sich, dort die Bestzeit seiner Ehefrau unterboten zu haben. Als er nach der Rückkehr vor seine 7. Klasse tritt, spürt er deren Begeisterung. Er gilt als Vorbild. „Ich möchte einerseits zeigen, dass Leistungssport nicht nur Schinderei bedeutet, sondern auch Freude bereitet. Andererseits möchte ich meine Begeisterung für den Sport und alles, was damit verbunden ist, rüberbringen, und für den Breitensport werben“, betont er.

„Auf das Leben vorbereiten“ – im Unterricht wie im Ganztag

Wer nun glaubt, an der Uplandschule drehe sich alles nur um den Sport, der irrt. Schulleiterin Barbara Pavlu, selbst Informatik- und Mathematiklehrerin, formuliert es so: „Wir möchten die Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorbereiten.“ Im Unterricht wie im Ganztag. Letzteren koordiniert Biologie- und Kunstlehrerin Christiane Schulenberg. Sie weist auf die Projekte aller Jahrgangsstufen zum Sozialen Lernen hin. Eines ist das soziale Praktikum, das von Olivia Keindl, der Rektorin des Haupt- und Realschulzweigs, und Deutsch- und Englisch-Lehrerin Sabrina Tusch begleitet wird.

Nicht ohne Stolz erlebten die beiden Pädagoginnen, auf welch positives Echo erst kürzlich drei Schülerinnen und Schüler stießen: Bei einem Besuch regionaler Politiker in der örtlichen Pflegeeinrichtung erläuterten sie, was sie im freiwilligen Sozialen Praktikum, auf das sie im Religions- und Ethikunterricht vorbereitet werden, alles leisten. Christiane Schulenberg: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die Schülerinnen und Schüler in dieser Rolle entwickeln, wie sie Verantwortung übernehmen und sich von einer ganz anderen Seite präsentieren als mitunter im Unterricht.“

Schulleiterin Pavlu fügt hinzu: „Wir möchten vermitteln, was es heißt, Verantwortung für andere und für sich selbst zu übernehmen.“ Dies gilt beispielsweise für die Busbegleiterausbildung, um die sich viele Siebtklässlerinnen und -klässler bemühen. Einmal darauf vorbereitet, haben die jungen Menschen damit nahezu automatisch auch die Rolle der Streitschlichtung. Schulenberg zitiert einen Schüler, der ihr unlängst sagte: „Mich ärgert, wie andere sich benehmen und möchte etwas ändern“.

Andere geben zu Protokoll, dass sie gerne lernen würden, selbstbewusster zu werden. Wieder andere nutzen an dieser „Schule ohne Rassismus“ – deren Pate ist der ehemalige Spitzen-Skispringer Stephan Leyhe, der an der Uplandschule sein Abi ablegte – dafür die Ausbildung als Sporthelferinnen und -helfer.

Familiäre Atmosphäre

Pavlu und Schulenberg machen deutlich, dass es ihnen wichtig ist, die Schülerinnen und Schüler von möglichst vielen Seiten kennenzulernen: „Dann können wir sie am besten fördern.“ Dass sich im kleinen Willingen nahezu alle kennen, komme ihnen dabei entgegen. „Eine unserer Stärken ist das Familiäre, der direkte Draht zu den Menschen. 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler können wir mit ihrem Vornamen ansprechen, wenn wir sie treffen“, versichert Christiane Schulenberg. Kurze Wege zeichnet auch die Arbeit im altersgemischten Kollegium aus: „Wir sind ein kleines System und haben ein kleines Lehrerzimmer. Wenn jemand Unterstützung sucht, muss er sich nur umdrehen und seinen Wunsch äußern“, sagt die Ganztagskoordinatorin.

Die Schule ist Teil der „großen Familie“, sprich der Gemeinde. Die evangelische und katholische Kirche engagieren sich im Religionsunterricht. Die örtlichen Firmen unterstützen die Berufsorientierung. Mitglieder einer Blaskapelle bieten Bläserunterricht an. Die Eislaufbahn, die Skipisten und die Ausrüstung dürfen zu vergünstigten Preisen in Anspruch genommen werden. Die Gemeinde Willingen und alle heimischen Sportvereine bis hin zum Hessischen Skiverband sind Kooperationspartner der Schule.

Schülerinnen und Schüler der Uplandschule entwickeln Fragen für eine App zur digitalen Schnitzeljagd, die jungen Touristen die Umgebung von Willingen näherbringen soll. Und selbstverständlich werden die Jugendlichen bei der Befragung der Gemeinde eingebunden, wie sie sich die Bewohnerinnen und Bewohner die Zukunft Willingens vorstellen. Die örtliche Metzgerei sorgt schließlich für die täglichen Menüs der Schulverpflegung, die warm angeliefert werden.

Weiterer Ausbau des Ganztags und digitales Lernen

Die Schule mag bei allen positiven Erkenntnissen nicht den Eindruck erwecken, sie habe bereits alle ihre Ziele erreicht. So möchte sie im Grundschulzweig in den „Pakt für den Ganztag“ und im weiterführenden Bereich in das hessische Ganztagsprofil II aufgenommen werden, „um den Charakter des Ganztags weiter auszubauen“, auch freitags Arbeitsgemeinschaften anbieten und die Rhythmisierung vorantreiben zu können.

Aktuell können die Schülerinnen und Schüler aus einer Vielzahl von Offerten von Montag bis Donnerstag auswählen. Zwei Arbeitsgemeinschaften sind Pflicht. Zahlreiche externe Partner, die auch ihre Sicht auf die Kinder und Jugendlichen kommunizieren, unterstützen dabei die Lehrkräfte. Gemeinsam bieten sie Möglichkeiten, sich in unterschiedlichsten Sportarten oder aber auch in der Schauspiel-AG zu engagieren. Insbesondere auf der Bühne entwickeln Schülerinnen und Schüler immer wieder ungeahnte Stärken, überwinden Blockaden, etwa, wenn es darum geht, vor anderen ihr Können zu zeigen.

Neue Wege geht ab dem kommenden Schuljahr eine der jetzigen fünften Klassen. Sie wird unter Leitung von Klassenlehrer Steffen Wenig die erste iPad-Klasse. „Digital wollen wir noch etwas aufholen“, gesteht Barbara Pavlu. Und so verschwinden in dieser „Versuchsklasse“ Stifte, Papier und Bücher. Steffen Wenig und sein Team medienkompetenter Lehrkräfte haben sich fortgebildet und auch von Erfahrungen anderer Schulen in der Region profitiert. „Wir Lehrkräfte entwickeln uns auch weiter“, sagt der Deutsch- und Geschichtslehrer.

Steffen Wenig weiß auch um die Sorge vieler, dass „die Spiele-App nur drei Sekunden vom Lernen mit der Mathe-App entfernt ist“. Aber er ist sicher: „Die Schülerinnen und Schüler sind Feuer und Flamme, die Eltern einverstanden. Wir werden den bewussten und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Digitalen lehren und dabei mitlernen.“

Quelle: Stephan Lüke: Uplandschule: Ganztags ungeahnte Stärken entwickeln. 03.04.2023. In: https://www.ganztagsschulen.org/de/ganztagsschule-vor-ort/schulportraets/uplandschule-ganztags-ungeahnte-staerken.html. Datum des Zugriffs: 14.06.2023